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CRUMPLED CHARACTERS

Als die Malgründe aus dem vorhandenen Kunstbestand aufgebraucht waren, das Thema der aufgereihten Zeichen aber noch nicht ausgeschöpft war, setzte Thomas Baumhekel sie auf Papierbögen fort. In einem täglichen Pensum von mehreren Blättern, die er anschließend datierte und somit den – auch ihm selbst nicht sogleich offensichtlichen – Fortgang der Arbeit dokumentierte, arbeitete er sich an der Reihung der Farbflecken systematisch ab. Deren Farbsättigung wandelt sich in geringen Nuancen, die immer gleiche „Note“ kommt gleichsam auf stets etwas andere Weise zum Klingen. Auch hier handelt es sich um Zeichen, um characters; doch nicht mehr „zerknüllt“ und übermalt, sondern gleichsam als Platzhalter, als Erinnerung an jene Schriftzeichen, die im Schreibfluss über die Fläche rieselten.

Zugleich bilden sie die Elemente eines neuen Systems: jedes Zeichen bedeutet sich selbst und bezeugt die Tätigkeit des Künstlers, das Aufsetzen und Drehen des Pinsels, dessen Ergebnisse sie sind. Somit verweist diese „Zeichensprache“ weder auf Dinge noch auf Wörter, deren lautliche Entsprechung sie bilden; – sondern bleibt lediglich das Bild einer Zeichenfolge. – Ein Bild also vom Ereignis des Malprozesses, nach so vielen Umwegen! Das ist erleichternd, dass man sich am Schluss wie am Anfang halten kann an das Gegebene, an Papier und Tuscheverlauf, Farbstimmungen, Rhythmus und Ruhe – an all die ästhetischen Attraktionen, jene überraschend behutsamen Schönheiten, auf die man sich konzentrieren kann, wenn die Verweise auf etwas Sprachliches oder Gegenständliches außerhalb der Bildwelt einmal schweigen.

Anke Fröhlich-Schauseil

aus der Einführung zu CRUMPLED CHARACTERS

Sächsische Landesärztekammer, Dresden, 22. April 2022

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