HAN SHAN
AUSSCHNITT PRESSETEXT Museum für Angewandte Kunst Frankfurt
[...] Frei von der Last der Traditionen, mit denen ein Schriftkünstler in Ostasien in aller Regel aufwächst, gestattet sich Thomas Baumhekel ein unbefangenes Herangehen, das zum Großteil den Reiz seiner Arbeiten ausmacht. Er verzichtet auf das übliche ostasiatische, saugfähige Papier und schreibt in der Mehrzahl der Fälle auf große, weiße Zeichenpapierbögen. Bei früheren Blättern trug er die Tusche oft so trocken auf, dass die Schriftzeichen am Ende der Striche wie zerbrochenes Holz ausfasern. Für die jüngeren Arbeiten verwendete der Künstler eine Tuschemischung, die nicht zusammenfließt, sondern den Linien eine Binnenstruktur verleiht, die die Strichfolge und den Schreibprozess auch für den Laien nachvollziehbar machen, womit das zeitliche Element der Arbeit hervorgekehrt wird. Auch die Maserung von Holz bietet sich als Assoziation zu diesen Strukturen an. Gelegentlich wirken die Striche wie zusammengenagelte Bretter und schlagen so den Bogen zu jenen Arbeiten, für die Treibholz oder andere hölzerne Fundstücke als Malgrund Verwendung finden. Damit gewinnen die Schriftwerke eine neue Form der Körperlichkeit oder entwickeln sich ganz ins Skulpturale. Bei aller expressiven Kraft haben die Zeichen von Thomas Baumhekel nichts Elegantes, Geschmeidiges oder Gefälliges. Eine gewisse Affinität zum Exotischen geht hier eine besondere Verbindung mit urwüchsiger Bodenständigkeit ein.
Im Mittelpunkt der Frankfurter Ausstellung steht die Installation „Treibholz“[...]
Dieser Installation sind verschiedene Arbeiten auf Papier zur Seite gestellt, unter denen ein Zyklus von Gedichten des chinesischen Chan- (Zen-)Meisters Han Shan den breitesten Raum einnimmt. Kaum historische Fakten, umso mehr Legenden ranken sich um diese Figur, die sich vermutlich Mitte des 7. Jahrhunderts aus der „Welt des Staubes“ auf einen Gipfel des Tiantai- Gebirges mit Namen „Kalter Berg“ (Han Shan) zurückzog. Der Name des Ortes verschmolz schon bald mit dem des Poeten und seiner Suche nach der letzten Wahrheit. Trotz vielerlei philologischer Bemühungen bleibt es dabei Spekulation, ob überhaupt eine einzelne historische Persönlichkeit hinter den erhaltenen Texten steht. Han Shan, oftmals gemeinsam mit dem Findling Shi De und dem Chan-Meister Feng Gan auftretend, erscheint in unzähligen Werken der ostasiatischen Malerei als gänzlich verwilderte Gestalt mit zerlumpter Kleidung und wüstem Haarschopf. Er streift durchs Gebirge, pinselt auf Felswände, ist in schriftlose Schriftrollen vertieft oder diskutiert mit seinen beiden Mitstreitern die Lehren des Buddhismus und Daoismus. Hanshan wurde zum Prototyp des erfolgreichen Zen-Laien, der abseits aller mönchischer Regeln in heiterer Gelassenheit wahre Erkenntnis gewinnt.